Wollten wir uns nicht alle schon mal in die niedere Welt der Schmiere begeben?
Nun, solltet ihr zu den wenigen Menschen gehören, die sich bislang noch nicht
für das Thema begeistern konnten, dürft ihr spätestens bei diesem Spiel
aufhorchen. Denn mit World of Goo kommt nun eines der spaßigsten Spielprinzipe
der letzten Jahre auf euch zu.
Wie bei einem guten Knobelspiel üblich, klingt das Grundprinzip erstmal
faszinierend einfach: In einer kleinen 2D-Welt, die zumeist kaum mehr als einen
Bildschirm füllt, ist es eure Aufgabe von einem Startpunkt aus bis zu einem Rohr
zu bauen. Damit dies gelingen kann, könnt ihr per Pointer die sogenannten
Goo-Bälle zu einem wie auch immer gearteten Konstrukt zusammenbauen. Diese Bälle
haben nämlich die Fähigkeit mehr oder weniger feste Verbindungen zu den
Goo-Bällen in ihrer Umgebung herzustellen. So sind wackelnde Türme, schwankende
Brücken oder abwegige Mischformen ohne Weiteres, einfach per Zeigen, möglich.
Die wabernden Gebilde werden dabei von einer fantastisch glaubwürdigen
Physik-Engine zusammengehalten, die bauliche Mängel eurerseits schonungslos
aufzeigt. So baut ihr euch dann vom angesprochenen Startpunkt aus durch die
Levels hin zum finalen Rohr, indem ihr Abgründe überquert, um die Ecke baut oder
zahlreiche mechanische Konstruktionen benutzt. Soweit so einfach. Der Kniff an
der Sache: In den insgesamt 47 Levels habt ihr je nur eine ganz bestimmte Anzahl
an Goo-Bällen vorrätig und von diesen müsst ihr auch noch eine bestimmte Anzahl
am Ende übrig haben. Es gewinnt nur, wer bald die haarsträubendsten Formationen
bildet und minimalistisch seine Vorräte an Schmierbällen nutzt.
Um dieses simpel-geniale Spielprinzip herum wurde eine abstruse Geschichte
gesponnen, die - und das sagt schon alles - in großen Teilen vom mysteriösen
„Schilderzeichner“ fortgesponnen wird. Dieser hat, wie der Zufall es so will, in
jedem Level einige Schilder aufgestellt, die euch zum einen die notwendige
Einführung in die Spielmechanik geben oder zum anderen eben die „Geschichte“
subtil voranführen. Letztere führt euch durch vier Kapitel, die entsprechend die
vier Welten von World of Goo repräsentieren. Die Umgebungen reichen von grünen
Hügeln, über düstere Industriekomplexe bis in den Computer hinein. Innerhalb
dieser Kapitel arbeitet man sich brav von Level zu Level vor, ähnlich dem guten,
alten Super Mario Bros. 3 auf dem NES, einige Abzweigungen inklusive. Die
Entwickler von 2D Boy haben aber auch an die untalentierten und nicht
frustresistenten Gamer gedacht und eine Sicherung eingebaut, die es euch
erlaubt, ein Level zu überspringen, wenn ihr partout nicht weiterkommt. Solltet
ihr euch übrigens innerhalb eines Levels mal verbauen, ist auch das kein
Problem: Mithilfe von kleinen weißen Fliegen, die in einer bestimmten Anzahl
vorhanden sind, könnt ihr den letzten Zug ungeschehen machen. Praktisch!
Mit Worten kaum zu beschreiben, kommt der größte Spaß durch das
Selbstausprobieren der verrücktesten Bauweisen zustande. Die Aufgabestellung in
den Levels ist prinzipiell eintönig: Erreiche das Rohr mit so und so vielen
übrigen Goo-Bällen! Die Wege dieses simple Ziel zu erreichen, sind aber
vielschichtig. Hier gebührt den Entwicklern das wohl größte Lob: Sie verstehen
es virtuos, den Spieler langsam mit neuen Spielelementen vertraut zu machen,
diese Inhalte aber nicht bis zum Erbrechen auszureizen. Wo manche Puzzler ein
und dieselbe (gute) Grundidee bis zum Geht-Nicht-Mehr zu Tode trampeln, wird
hier der Spieler durch immer neue Elemente bei Laune gehalten. Kaum hat man sich
an die schwarzen Goo-Bälle und ihr Physik-Verhalten gewöhnt, kommen die grünen
Schmierlinge hinzu, die sich nun plötzlich immer wieder versetzen lassen, obwohl
sie doch schon verbaut waren. Hat man dieses Prinzip verinnerlicht, kommen
besonders feste weiße Bälle hinzu, bis man schließlich mit Feuer hantiert oder
Goo-Bälle herumschießen muss. Manche Levels ähneln sogar mehr dem
Spielberg-Puzzler Boom Blox als dem restlichen, eigenen Spiel. Die Ideen, die in
diesem Spiel stecken, sind mannigfaltig und werden, wie gesagt, genau richtig
dosiert, um keine Leerlaufphase entstehen zu lassen. Schon einmal Goo-Bälle mit
Luftballons in der Waage gehalten?
Obgleich sich das Spielprinzip als zeitloser Evergreen herausstellen könnte,
bringt auch World of Goo einige kleine Schnitzer mit. Die Steuerung, lediglich
mit der Wiimote, ist ohne Frage simpel und eingängig. Ihr zeigt, wohin ihr die
Goo-Bälle setzen wollt und drückt „A“. Später können die auf eurem Gebilde
herumwuselnden Schleimbälle mit einer Pfeife zu einer bestimmten Stelle gerufen
werden. Das funktioniert mit „B“ gut, doch warum verschwinden die Goo-Bälle dann
sofort wieder, wenn ich aufhöre zu pfeifen? Auch gerade das Herumwuseln der
Kleinen kann die Übersicht stören. Ständig bewegt sich alles und sobald sich
mehrere verschiedene Arten auf dem Gerüst befinden, kann es leicht passieren,
dass man die falsche Art zu packen kriegt, was mitunter ärgerlich ist. Darüber
hinaus kann man immer beklagen, dass einige Lösungen doch zu viel auf Glück
ausgerichtet sind. Obwohl die Physik makellos funktioniert und glaubhaft daher
kommt, fragt man sich doch manches Mal, was man nun vorher anders gemacht hat
und warum dieser Turm gerade jetzt kippt. Ich räume aber bereitwillig ein, dass
es auch an der eigenen Ungeschicklichkeit gelegen haben könnte. Kleine
Frustmomente sind aber nicht vermeidbar. Doch wäre es ein richtiger Knobler,
gäbe es diese Momente nicht? Der Mehrspieler-Modus dagegen ist nur mehr
schmückendes Beiwerk. Bis zu vier Spieler können sich eine Wiimote schnappen und
Goo-Bälle gleichzeitig setzen. Was sich in der Theorie richtig gut anhört, endet
in der Praxis oft im heillosen Chaos. Mag es zu zweit mit der Absprache gerade
noch funktionieren, macht es zu viert keinen Spaß mehr. So bietet sich der
Multiplayer nicht als Spielspaßverlängerung an. Zwar werden knapp 50 Levels
geboten, doch sind diese meist in wenigen Minuten zu schaffen. Nach gut 5
Stunden flimmert der Abspann über den Bildschirm. Besonders kreative oder
hartnäckige Menschen kann das Spiel dennoch länger an die Glotze fesseln, denn
natürlich sind bald immer bessere Lösungen für die Missionen möglich. Außerdem
hält das Spiel in jedem Level ein so genanntes „Zwingendes Kriterium für
Vollständigkeit“, liebevoll „ZKV“ genannt, bereit. Damit sind jeweils richtig
happige Zielforderungen gemeint, die ein absolut perfekt koordiniertes und
geplantes Vorgehen erfordern. Wer diese Forderungen erfüllen möchte, kann locker
noch mal das Doppelte an Zeit einrechnen und muss von Gott eine gewisse
Frustresistenz mitgegeben bekommen haben. Während die Grafik mit ihrem klaren
und abwechslungsreichen Stil vollends überzeugen kann, ist die Begleitmusik so
eine Sache. Keine Frage, die Musikstücke halten ein paar wirklich tolle Melodien
bereit, die unter die Haut gehen. Aber der Stil würde öfter besser zu einem Epos
passen, als zu einem Puzzle-Spiel. Tatsächlich entspricht aber auch gerade das
dem Spiel, weil es sich mit seinem kruden Humor eh nicht sonderlich ernst nimmt.
Unpassendes wird so passend gemacht. Man muss sich halt drauf einlassen können.
Fazit:
Ich liebe Schmiere. Zugegeben, in der Realität ist es nicht so meins, aber die
kleinen Goo-Bälle muss man lieben. Die kreativen Möglichkeiten, die dieses Spiel
bereithält, sind unglaublich groß und fordern Jeden auf, sich länger damit
auseinander zu setzen. Der Vorteil an World of Goo ist, dass Jeder das
Spielprinzip innerhalb von zehn Sekunden begriffen hat. Die nachfolgende Zeit
vergeht dann wie im Fluge, da sich unweigerlich dieser Sog des „Ein Level noch“
entwickelt, der zuletzt bei viel zu wenigen Spielen entstand. So fesselt euch
World of Goo für gute 5 Stunden an die Konsole und ihr werdet über die kleinen
Macken, die die wuselige Unübersichtlichkeit bewirkt, leicht hinwegsehen. Sind
aber alle Levels geschafft, dürften wohl nur die Wenigsten versuchen, die
knallharten ZKV-Aufgaben zu lösen. Die eher gemütlichen Denksportler dürften
sich höchstens noch am großen Goo-Turm versuchen, bei dem ihr all eure
überschüssigen Goo-Bälle (bis zu 300) in einem riesigen Turm verbraten dürft.
Kleine Wolken zeigen euch die Höhe anderer Spieler aus aller Welt an. Könnt ihr
mit 300 Bällen den höchsten Turm bauen? World of Goo ist wie gemacht für den
neugierigen Menschen und sind wir nicht alle irgendwie neugierig, was möglich
ist?
(Hendrik)
Pluspunkte:
+ süchtig machendes Spielprinzip
+ nachvollziehbare Physik-Engine
+ abwechslungsreiche Spielelemente
+ fairer Schwierigkeitsgrad
+ Riesen-Goo-Turm Online-Vergleich
+ knallharte ZKV-Ziele nur für Profis
+ abgedrehter Humor
Minuspunkte:
- mitunter pingelige Steuerung
- nicht übermäßig lang
- Mehrspielermodus nur Beiwerk
WERTUNG
Einzelspieler: 9,0
Mehrspieler: 7,5

Screenshot 1

Screenshot 2

Preis: 1500 Nintendo Punkte
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(31.08.2009)