Selten werden in Videospielen für Nintendos Konsolen Namen wie Manfred Linzer,
Martin Sauter oder Peter Aleit genannt, wenn man die Kategorie „Deutsche
Lokalisation“ mal außen vor lässt. Aber eine Technik-begeisterte Truppe aus
Deutschland kann immer wieder die Nintendo-Fans erfreuen: Gemeint ist das
Entwicklerstudio Shin’en, die zuletzt mit dem grafisch gewaltigen „Fun! Fun!
Minigolf“ für WiiWare einen Achtungserfolg für sich verbuchen konnten. Auf dem
Nintendo DS ist vor allem das Technik-Brett namens „Nanostray“ allen Shoot `em
Up-Fans bekannt. Diesmal wagten die Münchener einen etwas ruhigeren Ausflug in
das Puzzle-Genre. Wo üblicherweise Gameplay vor Grafik rangiert, müssen sich die
Entwickler noch beweisen. Das ist ihnen auf bewundernswerte Weise gelungen.
Art of Balance hat – anders als der Name es suggeriert – mit dem Balance Board
nichts zu tun, sehr wohl aber mit Balance im Allgemeinen. Pro7-Zuschauer werden
sich vielleicht noch an eine Galileo-Sendung (ja, sorry :p) erinnern, in der ein
Mann völlig unterschiedliche Steine, vom kleinen Kieselstein bis zum unförmigen
Findling, in erstaunlicher Weise stapeln konnte, obwohl die Gebilde physikalisch
völlig instabil aussahen. Er erklärte, dass man für derlei Baukunst lediglich
den Schwerpunkt präzise herausfinden müsse und schon würden die aberwitzigsten
Konstruktionen gelingen. Vielleicht haben sich die Entwickler von Shin’en davon
inspirieren lassen, denn das Spielprinzip von Art of Balance basiert genau auf
diesem Gedanken. Eure Aufgabe in den exakt hundert 2-D-Levels besteht darin,
jeweils eine gewisse Anzahl an Tetris-artigen Blöcken auf unterschiedlichen
Plateaus so zu platzieren, dass ein mehr oder weniger stabiles Konstrukt
entsteht, welches schließlich ca. 5 Sekunden halten muss, um den Level
abzuschließen. Das Gameplay ist wirklich sehr leicht zugänglich und kann von
Zuschauern innerhalb weniger Sekunden verinnerlicht werden. Das Stapeln der
Gegenstände geht sofort in Fleisch und Blut über. Dafür sorgt nicht zuletzt die
absolut präzise Steuerung, die glücklicherweise zum Zwecke einer erhöhten
Präzision auf unnötige Bewegungsexperimente verzichtet. Am unteren
Bildschirmrand befinden sich die zu stapelnden Objekte, die mit dem Pointer und
einem Druck auf „A“ gegriffen werden müssen. Per B-Button oder Steuerkreuz darf
man sie noch in vier Stufen drehen, ein erneuter Druck auf den A-Knopf legt den
Block dort ab, wo sich der Pointer befindet. So einfach und natürlich kann eine
Steuerung sein. Zumal ihr euch nicht mal Sorgen um die Kamera machen müsst.
Diese hat man völlig automatisiert, sodass ihr euch aufs Puzzeln konzentrieren
könnt. Stets passend zoomt sie herein und heraus und folgt angemessen euren
Bewegungen auf dem Screen. Top!
Nur hilft die beste Kontrolle nichts, wenn das Spiel nichts taugt. Zum Glück
muss man sich auch da keine Gedanken machen. Der „Arcade-Modus“ bietet euch in
vier Abschnitten jeweils 25 Levels an, die über eine Art Spielbrett ausgewählt
werden. Dieses Spielbrett gabelt sich bisweilen, sodass der Weg bis zum Ziel
jeden Abschnittes selbst gewählt werden darf. Eine feine Sache, da dem Spieler
deshalb stets mehrere Levels angeboten werden und man niemals festhängt. Die
meisten Aufgaben bringen dem Spieler einen Punkt ein, einige Spezialaufgaben
werfen aber auch zwei ab, nur das jeweils letzte Level birgt drei Punkte. Mit
diesen Punkten werden schließlich die anderen Abschnitte freigespielt, in denen
dann schwierige Aufgaben und vor allem neue Blöcke warten.
Insgesamt haben ca. ein Dutzend Formen den Weg ins Spiel geschafft, von denen
mit der Zeit immer mehr auftauchen. Arbeitet man zunächst noch meistens mit
einfachen Kreuzen, L-förmigen Gebilden oder Kugeln, machen dem Spieler später
viele Rundungen und unbequeme – weil schlecht ausbalancierbare – Blöcke zu
schaffen. Und als böten diese Varianten nicht bereits genug Abwechslung bei den
Aufgaben, kommen später noch gläserne Blöcke hinzu, die bei Belastung entweder
nach einer gewissen Zeit zerplatzen oder lediglich genau drei Blöcke über sich
aushalten, bis sie in ihre Einzelteile zerspringen. Wird das Zerplatzen zunächst
dadurch vermieden, dass man diese Blöcke eben ganz oben platziert, muss es
später sogar herbeigeführt werden – mit dem Problem, dass die Blöcke oberhalb
nun mehr oder weniger unkontrolliert herabfallen. Oft noch heikler wird es
lediglich in den 2-Punkte-Levels, die euch in der Regel neben dem bloßen
Aufstellen der Blöcke eine weitere Zielsetzung mitgeben. Entweder müsst ihr hier
mit eurem Bauwerk eine bestimmte Höhe erreichen, oder ihr kämpft gegen eine
gnadenlos herunter tickende Uhr, die euren Arm nicht gerade ruhiger macht. Als
dritte Variante haben bewegliche Untergründe den Weg ins Spiel gefunden, die
einmal mehr eine äußerst planvolle und genaue Herangehensweise erfordern.
Zum Glück unterstützt eine sehr effektive Physik-Engine den Spieler. Ihr habt
nie das Gefühl, dass die Blöcke Dinge tun, die sie eigentlich nicht tun sollten.
Sehr schnell lernt ihr ihre Schwerpunkte kennen und bald werkelt ihr genauso
behände an großen Bildnissen wie der Mann im Galileo-Bericht. Weil die Figuren
sich so korrekt verhalten, wird auch auf angenehmste Weise Frust vermieden, ohne
den Schwierigkeitsgrade ins bodenlose zu senken. Spätestens ab dem dritten
Abschnitt werden euch oft zunächst unmögliche Blöcke und Ausgangssituation
angeboten, doch tragt ihr alles mit Fassung, da ihr jeden Fehler einzig und
allein euch selbst zuzuschreiben habt. Eine Wippe kann halt nicht halten, wenn
sie links mehr Gewicht als rechts trägt. Das musste auch ich mehrfach leidvoll
erfahren.
Eine feine Idee ist auch die unkomplizierte Einbindung eines zweiten Spielers.
Einfach die Wiimote geschnappt und schon darf mit einem zweiten Cursor geholfen
werden. Dass das mehr als ein reines Gimmick ist, wird schnell klar: Wenn man
auf einer Wippe gleichzeitig links und rechts identische Figuren stapelt, wird
das Gleichgewicht gehalten. Allein hätte man sich einen anderen Weg einfallen
lassen müssen. Das mag dazu führen, dass sich auch der Einzelspieler manches Mal
dabei ertappt, mit zwei Wiimotes zu spielen. Neben diesem sehr sinnvollen und
spaßigen Kooperationsmodus bietet Art of Balance auch noch einen Versus-Modus
für zwei Spieler, in dem drei, fünf oder sieben zufällige Levels im
Splitscreenmodus gegeneinander auf Zeit gespielt werden. Für etwa gleich starke
Spieler sicher kurzweilig eine nette Sache, verliert dieser Modus aber auf Dauer
seinen Reiz, da man die Lösungswege der Levels irgendwann einfach kennt.
Wenngleich es sich um ein Puzzlespiel handelt, konnten die Technik-Freaks von
Shin’en natürlich nicht umhin, auch diesem Produkt ein zeitgemäßes Aussehen zu
spendieren. Wo bei einem vergleichbaren Art Style-Titel wohl lediglich weiße
Linien auf schwarzem Grund zu sehen wären, zaubern die Deutschen gestochen
scharfes Wohnzimmer-Flair in die Levels. Ihr befindet euch in oftmals exotischen
Räumen, mit sich bewegenden Pflanzen und realistischem Schattenwurf. Zudem
stapelt ihr die die Blöcke auf immer unterschiedliche Ausgangsformen in einer
Wasserschale. Das Wasser und seine Spiegelungen sehen dabei nicht nur
fantastisch aus, sein Berühren zeigt auch euer Versagen an. Die Sounduntermalung
kann da nicht ganz mithalten, was angesichts der Sound-Middleware-Experten, die
die Entwickler von Shin’en ganz nebenbei auch noch sind, etwas überrascht. Ihr
hört unaufgeregte, sphärisch anmutende Klänge, die zwar auch bei längerer Dauer
nicht nervig werden, aber auch nicht gerade Ohrwurmcharakter besitzen. Insgesamt
fehlt der Musik ein wenig Abwechslungsreichtum, was freilich insgesamt den
Spielspaß überhaupt nicht mindert.
Fazit:
Wow, dieser auf den ersten Blick belanglos und durch und durch mittelmäßig
anmutende, gefühlt 1000. Puzzle-Vertreter für WiiWare entpuppt sich als
unheimlich packende, intelligente Rätselei, garniert mit einer tollen
Physik-Engine, durchdachten Aufgabenstellungen und schöner Technik. Die
Grundidee ist so simpel wie fesselnd, die Umsetzung gelungen und der kooperative
Zweispielermodus wirklich eine tolle Ergänzung. Der Umfang mit satten 100 Levels
geht in Ordnung, wenngleich der Titel leider nichts zum Freispielen bereit hält
und nach seiner Beendigung aufgrund fehlender Highscores wohl wirklich ad acta
gelegt wird. Dennoch: Für die Dauer von vier bis sechs Stunden werden alle
Puzzle-Liebhaber grandios unterhalten, zumal der Preis von acht Euro wirklich in
Ordnung geht.
(Hendrik)
Pluspunkte:
+ Pick & Play Gameplay
+ 2-Spieler Kooperationsmodus
+ glaubhafte Physik-Engine
+ präzise Steuerung/ Kamera
+ Vielfalt an Blöcken & Aufgaben
+ 100 Levels
+ niedriges Frustlevel, trotzdem fordernd
Minuspunkte:
- etwas zu einseitige Musikuntermalung
- kaum Wiederspielwert (Highscores o.ä.)
- Versus-Modus etwas schmal
WERTUNG
Einzelspieler: 8,5
Mehrspieler: 8,5

Screenshot 1

Screenshot 2

Preis:
800 Nintendo Punkte
news@mag64.de
(27.03.2010)