Lost Winds war zum Release des WiiWare-Services eines der herausragenden Spiele.
Neben allerlei Schund und schnell hin geklatschtem Brei bewies es doch
eindrucksvoll, dass man auf WiiWare auch die kleinen, liebenswürdigen Projekte
wird finden können. Obwohl weder fehlerfrei noch brillant einzigartig, konnte
der verlorene Wind durch seine liebevolle Art den Spieler dennoch fesseln.
Damals waren die Ideen für ein wirklich „großes“ Spiel bei den Entwicklern der
Frontier Studios durchaus vorhanden, es haperte lediglich am Umfang und der
finalen Ausgestaltung. Umso schöner war es, dass man flugs einen Nachfolger
ankündigte, der alles besser machen sollte. Inzwischen ist auch dieser auf den
Markt und es gilt zu überprüfen, ob die Entwickler Wort gehalten haben.
Die Geschichte verfolgt erneut die Abenteuer des kleinen Jungen Toku. Leider
werden die Ereignisse aus dem Vorgänger mehr oder weniger vorausgesetzt, sodass
Neueinsteiger in die Serie einige Anspielungen nicht erkennen werden. Toku lebt
in der Fantasiewelt Mistralis, die er vor kurzem vom Dämon Balasar befreien
konnte. Nun trägt es sich aber zu, dass Tokus Mutter Magda, die ihrem Sohn in
Sachen Abenteuerlust in nichts nachsteht, auf einer Expedition in
Schwierigkeiten geraten ist und seither als verschollen gilt. Als ihr Sohn davon
unterrichtet wird, macht dieser sich natürlich zusammen mit dem Windgeist Enril
auf, seine Mutter zu suchen. Enril, das seid ihr und eure Wii-Fernbedienung. Wer
Teil 1 nicht gespielt hat, muss das einfach mal hinnehmen, denn seine Herkunft
wird hier schlichtweg verschwiegen. In der kurzen Einleitung bringt euch der
einstige Endgegner und heutige Freund Magmok hoch in die Berge und euch werden
im Schnelldurchlauf (fast) alle Fähigkeiten des Erstlings beigebracht.
Die große Besonderheit des 2D-Jump n‘ Run-Adventures besteht darin, dass ihr
Toku mit dem Stick nur nach links und rechts lenken könnt. Eine Sprungtaste
existierte nicht und existiert auch immer noch nicht. Stattdessen könnt ihr den
kleinen Jungen per Windkraft bis zu drei Mal in die Höhe heben. Drückt ihr den
A-Knopf, wird das Bild in Superzeitlupe fast eingefroren und ihr könnt nun
lässig eine Linie nach oben zeichnen. Die Folge ist, dass Toku vom Wind
hinaufgetragen wird. Ebenso ist es für das weitere Abenteuer essentiell, das
Feuer von Fackeln oder das Wasser aus dem nahen Tümpel per B-Knopf in
Kombination mit einer stilvollen Linie an Holzverschläge oder durstige Pflanzen
zu führen. Ihr könnt mit einem gezeichneten Kreis sogar herabfallende
Schneeflocken zu einem Schneeball formen, der lediglich eines weiteren Anstoßes
bedarf, um dann verwitterte Wände zerbrechen. Das Spielprinzip setzt also voll
auf eure Zeichenkünste und die Entwicklung dieser Fähigkeiten im Verlauf des
Abenteuers. Ein Hauch von Okami weht damit durch Mistralis. Das Beispiel der
Schneeflocken war nicht zufällig gewählt. Größte Neuerung des zweiten Teils ist
das Zusammenspiel aus Sommer und Winter. Wie zuvor gesagt, gelangt ihr auf der
Suche nach eurer Mutter in die hohen Berge und erforscht daher nicht nochmal die
Welt rund um euer Dorf. In den Bergen rieseln die Schneeflocken leise, der See
starrt still und allgemein ist es einfach nur schweinekalt. Da wirkt es ein
wenig höhnisch, wenn der einzige wirklich bewohnte Ort, den ihr findet,
Sommerfall getauft wurde. Ihr werdet dann auch recht schnell herausfinden, dass
irgendetwas mit dem Wetter hier nicht stimmt, denn ein Schurke namens Riveren
bedroht die Welt wie es zuvor Balasar tat. Da eure Mutter offenbar durch eben
diesen zu Schaden gekommen ist, beschließt ihr, auch ihm das Handwerk zu legen
und eure Mutter zu retten. Habt ihr ein wenig später die Lösung für die
Wetterkapriolen gefunden, könnt ihr fortan bei bestimmten Statuen zwischen
Sommer und Winter wechseln. Auf dieser Wechselmechanik bauen wesentliche Teile
des Spiels auf. Gestaltet sich der Anfang doch noch recht schleppend und wird
euer Erkundungsdrang zunächst noch künstlich durch eine „Kälteleiste“
eingeschränkt, entfaltet sich spätestens nach der Errungenschaft des Sommers das
wahre Potential des Spielkonzepts. Gegenüber dem Erstling wirkt alles eine
Nummer größer und komplexer, was der Glaubwürdigkeit eines Action-Adventures
sehr zu Gute kommt. Natürlich hat man es sich entsprechend auch nicht nehmen
lassen, die Welt zu vergrößern. Damit einher geht die Einführung einer Karte.
Zwar gibt es immer noch keine 1:1 Karte der 2D-Abschnitte, aber immerhin sieht
man nun auf einer Art Übersichtsplan, in welchem Winkel des Gebirges man sich
befindet und in welche Richtung das Ziel liegt. Eine weise Entscheidung, dieses
Feature nun endlich zu integrieren. Man fühlt sich allgemein weniger verloren.
Außerdem ist nun eine mehr oder weniger systematische Durchforstung der Gebiete
möglich. Für Sammler hält die Welt wieder einige Dutzend Statuen bereit, die
gefunden werden wollen. Diesmal wird man fürs Sammeln sogar belohnt (anders als
im Vorgänger), wenngleich die kurzen Texte über im Spiel vorkommende Charaktere
und Gegner nicht gerade ein Killerargument sind. Ganz abgesehen davon, dass die
meisten dieser Statuen viel zu leicht zu finden sind und eher nebenbei
mitgenommen werden. Eine richtige Herausforderung oder ein Sub-Abenteuer auf
anderer Ebene für Profis (was beispielsweise die großen Münzen bei New Super
Mario Bros. Wii bewirken) kreieren die Statuen hier nicht. Dabei hätten die
interessanten Fähigkeiten von Enril und Toku durchaus genügend Stoff liefern
können für einige Sidequests. Ein Großteil ist Spielern des Vorgängers sicher
bekannt, doch wartetet das zweite Abenteuer nicht nur mit einigen frischen Ideen
für alte Utensilien auf, sondern schafft beispielsweise mit dem Tornado auch
komplett Neues. Mit ihm wird man sogar Seen leersaugen und per Wolke andere
Gebiete überfluten können. Gerade im Zusammenspiel mit Sommer und Winter, mit
Tauchen und Übers-Eis-Laufen, mit Wasserrutschen und Eisbahnen macht das eine
Menge Spaß. Insgesamt sind die Rätsel also deutlich ausgefeilter und komplexer.
Zumal ganz am Ende noch eine weitere Idee präsentiert wird, die beinahe nur
etwas zu kurz angewendet werden kann.
Trotzdem hat auch „Winter of the Melodias“ das Problem, dass es das vorhandene
Potential nicht konsequent ausnutzt. Die Welt ist größer, die Fähigkeiten sind
umfangreicher, aber ein Großteil der Rätsel besteht dennoch weiterhin aus
simplen Fackelrätseln, deren Variation stark zu wünschen übrig lässt. Diese Art
der Rätsel sollte Frontier doch besser Nintendo und Zelda überlassen. Hinzu
kommt, dass das Gegnerdesign bei aller Liebe unterirdisch ist. Riverens Schergen
bestehen zum größten Teil aus dunkelblauen Klecksen, die auch schon im Erstling
unterwegs waren und nur mäßige Spannung aufbauten. Und nein, auch brennende oder
quasi-gefrorene dunkelblaue Klekse flößen keinen Respekt ein. In Kombination mit
dem praktisch nicht vorhandenen Schwierigkeitsgrad bei den Sprungeinlagen heißt
das, dass ihr in Lost Winds 2 ebenfalls nicht sterben werdet. Ehe euer
vierteiliges Herz leer ist, müsstet ihr schon einen Kaffee kochen gehen. Zumal
ihr durch Aufsammeln kleiner Leuchtkäfer (das heißt: mit dem Pointer
darüberfahren) bis zu drei weitere Herzen als Reserve ergattert. Leider verliert
der Spannungsbogen durch diese kleinen Patzer merklich an Fahrt. Statt ständiger
Forderung, wird man eigentlich nur fortlaufend unterfordert.
Das ist umso bedauernswerter, als dass die Welt wirklich zum Forschen und
Erkunden einlädt. Technisch gibt sich nämlich auch „Winter of Melodias“ absolut
keine Blöße. Die Architektur der antiken Stadt Melodias, die ihr im Verlauf des
Spiels aufsucht, ist absolut beeindruckend und sorgt trotz der seitlichen
Ansicht durch die imposante Bauweise für Staunen. Aber auch die Natur wird im
Sommer wie im Winter so detailreich, so lebendig und so verspielt dargestellt,
dass man sich ernsthaft fragt, was einige Entwickler von Disk-Spielen nur für
beschränkte grafische Fähigkeiten besitzen. Hinzu kommt, dass hier alles absolut
flimmerfrei und seidenglatt daherkommt; die paar kleinen Slowdowns seien da
einmal verziehen. Die Musik spielt ebenfalls wieder in der gleichen hohen Liga
wie die des Vorgängers. Bezaubernd beruhigende Klänge erfreuen die Ohren,
besonders bei sommerlicher Zeit, da ansonsten mehr Wert auf die Stille des
Winters gelegt wird. Durch die Musik entsteht eine unvergleichbar sphärische
Stimmung, die irgendwie die Leichtigkeit des Seins betont. Insofern passt es
wiederrum sehr gut, dass eben auch „Winter of Melodias“ in dem Sinne keine
Herausforderung bietet.
Fazit:
Mit „Lost Winds – Winter of Melodias“ ist den Entwicklern bei Frontier
weitestgehend das gelungen, was man beabsichtigt hatte: Das interessante
Spielkonzept weiter zu verbessern, die Welt zu vergrößern und die Komplexität
ansteigen zu lassen. Taucht man in die liebliche Welt von Mistralis erneut ein,
wird man schnell gefangen sein von der ganz eigenen Atmosphäre, die dort
herrscht. Das Gameplay ist eine noch immer erfrischende Mischung aus 2D und
Action-Adventure, die es so heute nicht mehr so oft gibt. Die Fähigkeiten von
Toku wurden intelligent und innovativ erweitert, die größere Welt inklusive
Übersichtskarte erfreut den Spieler und Grafik sowie Musik versetzen in Staunen
ob des WiiWare-Charakters des Spiels. So weit, so gut. Schade, dass man
vergessen hat, einen Schwierigkeitsgrad einzubauen, dass die Gegner an
Langeweile nicht zu überbieten sind, dass man erneut viel zu viele simple
Fackelrätsel eingebaut hat und dass man wieder höchstens vier (mit allen
Statuen), eher drei Stunden zum Komplettieren benötigt. Das alles wiegt umso
schwerer, da das Konzept so unglaublich viel Spaß macht. Ein wenig mehr
Herausforderung, ein paar fordernde Sidequests und ein konsequenterer Gebrauch
der innovativen Steuerung und Fähigkeiten und Lost Winds wäre ein absoluter
Toptitel auch für den Retailmarkt. So bleibt die Fortsetzung auf halben Weg
stecken. Doch das Glas ist halb voll, nicht halb leer. Wir klagen auf hohem
Niveau, denn „Winter of Melodias“ ist ein sehr gutes Spiel, das beinahe jeder
WiiWare-Zocker gespielt haben sollte.
(Hendrik)
Pluspunkte:
+ gute Verquickung von 2D und Act.-Adv.
+ sehr liebevolle Grafik
+ große Welt inkl. Karte
+ neue innovative Fähigkeiten
+ Möglichkeit des „zweiten Windes“
+ tadellose Steuerung
+ berauschende Musikuntermalung
+ komplexere Rätsel als zuvor
+ länger als der Vorgänger…
Minuspunkte:
- …aber wieder nur max. 4 Stunden
- ideenlose Gegner
- lahme Geschicklichkeitseinlagen
- keine Herausforderung
- zu viele (gleiche) Fackelrätsel
Wertung:
Einzelspieler: 8,5

Screenshot 1

Screenshot 2

Preis:1000 Nintendo Punkte
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(30.11.2009)