Interview mit David Perry , Präsident von Shiny zu Enter The Matrix

David Perry, Präsident und CEO von Shiny Entertainment und einer der erfolgreichsten Spieledesigner, gibt interessante Einblicke in die aufwändigste Spieleproduktion aller Zeiten.

Wie lange haben Sie an ENTER THE MATRIX gearbeitet?

D.P. Der Vertrag mit Warner wurde im Februar 2001 unterzeichnet – demnach über zwei Jahre. Wie auch immer – den Wachowskis war schon vorher klar, wohin sie gehen wollten, und so haben sie sich schon viel früher an die Arbeit gemacht. Als wir die ersten Ideen auf Papier festhalten wollten, hatten sie bereits ein fertiges Script ausgearbeitet. Unterm Strich hat Shiny Entertainment in technischer Hinsicht knapp 30 Monate harte Arbeit investiert.

Hatten die beiden überhaupt eine Vorstellung davon, wie das Gameplay aussehen sollte, oder habt Ihr den Wachowskis auf die Sprünge geholfen?

D.P. Nein, die beiden hatten von Anfang an eine konkrete Vorstellung von der finalen Umsetzung. Die Dramaturgie der Story stand schon fest, und die Brüder wussten sehr genau, wie alle Plots – Anfang, Mittelteil und Ende – zusammengefügt werden müssen. Sie haben ihre Vorstellungen auf den Punkt gebracht: „Also, Du befindest Dich in dieser Situation und sollst folgendes Problem lösen, Du stürmst zur Tür, aber diese ist bereits verriegelt, und der Raum fängt an, Dich einzuschließen.“ Sie beschreiben jede der Situationen bildhaft und emotional. Sie wollten jede Szene authentisch dargestellt wissen. Demnach hatten sie eine äußerst präzise Vorstellung davon, wie ihre Vision in der Realität auszusehen habe.

Die Wachowskis sind äußerst interessante Zeitgenossen. Es scheint, als würden sie jeden Film, der jemals veröffentlicht wurde, auswendig kennen. Dauernd beschrieben Sie zum Vergleich Szenen aus anderen Filmen, sodass ich schlussendlich nach jedem unserer Treffen und Unterhaltungen umgehend alles an Filmen einkaufte, was mir wichtig erschien, und verzweifelt versuchte, die genannten Szenen zu finden. Sie wussten ganz genau, was sie wollten.

Wie viele Treffen gab es zwischen Ihnen und den Wachowskis?

D.P. Das war schon eine interessante Erfahrung. Normalerweise bekommt man keinen Zugang zu den Hollywood Regisseuren.

Ganz anders die Wachowskis: Sie implementierten eigens eine Interactive-Abteilung in ihrer Firma, die 24 Stunden am Tag für die Umsetzung des Spiels zuständig war. Während der Filmaufnahmen in Australien war auch das Personal dieser Abteilung für ein Jahr nach Australien verlegt worden, sodass sie zu jeder Zeit zu allem am Set Zugang hatten.

Mit deren Hilfe konnten 25.000 Fotos vom Set gemacht, die Schauspieler gescannt und digital fotografiert werden. Diesen zusätzlichen Aufwand ließen sich die Schauspieler nur deshalb gefallen, weil sie vom Chef der Interactive-Abteilung persönlich dazu aufgefordert wurden.

Wie groß ist denn letztendlich der kreative Anteil von Shiny Entertainment bei der Entwicklung des Spiels, wenn die Wachowskis schon mit einer fertigen Spielidee am Start waren?

D.P. Wir sind nach wie vor die Spieleexperten, und letztendlich ist es unser Job sicherzustellen, dass das Spiel auf den bekannten Regeln des Gameplays aufbaut.

Natürlich implementiert das Spiel die Geschichte des Films, aber auf der anderen Seite sind wir dafür verantwortlich, ein richtig cooles Spielprinzip zu entwickeln.

Wenn wir es mit Regisseuren zu tun gehabt hätten, die keine Ahnung von Spielen haben, dann hätten wir uns in unzähligen und endlosen Diskussionen wiedergefunden, in denen man mühsam zu erklären versucht, wie ein Spieler die Charaktere überhaupt bewegt. Aber diese Beiden spielen ja selber wie verrückt. Sie haben eine Xbox, eine PlayStation 2, und sie kaufen wirklich alles, was es gibt. Als ich ihn darauf ansprach, erzählte mir Larry, er spiele gerade Splinter Cell. Es war aus dem Grunde so einfach, mit ihnen gemeinsam über das Gameplay zu sprechen, weil sie über umfassendes Hintergrundwissen verfügen.

Was war die herausfordernste Aufgabe, mit der die Wachowskis Sie konfrontiert haben?

D.P. Ich denke, die unglaubliche Größe des Spiels. Vom Stealth-Action-Genre wie beispielsweise Metal Gear Solid bis hin zu Autorennen – sie wollten alles an bekannten Genreelementen in diesem einen Spiel unterbringen. Bei näherer Betrachtung schien uns das eine motivierende Herausforderung zu sein, aber eigentlich hatten wir es mit einem gigantischen Projekt zu tun. Zudem mussten neue Technologien entwickelt werden, um das Spiel für verschiedene Plattformen anbieten zu können. Bei unserer Vorarbeit haben wir uns an die Spielergemeinde gewandt und sie aufgefordert, uns ihre Anforderungen an das Spiel zu nennen: „Teilt uns alles mit, was ihr von einem Matrix-Spiel erwartet und dort sehen wollt!“ Sie haben uns eine riesige Wunschliste vorgelegt. Es muss Agenten geben, viele Waffen, man muss schießen können etc. Wir haben wirklich alles von dieser Liste im Spiel umgesetzt.

Was mich dabei so fasziniert hat, ist die Tatsache, dass die Spieler sich bei unserer Anfrage nicht um neue Filmtrailer oder die Story Gedanken gemacht haben, weil sie wussten, dass das nicht so relevant für ein gutes Gameplay ist. Diese Jungs beschäftigen sich alle schon so lange mit Spielen und haben dabei schon viele klägliche Game-Adaptionen nach Filmvorlagen gesehen, dass sie davon ausgingen, dass ihre Vorstellungen von einer gelungenen Umsetzung wohl ignoriert würden.

Also fragten wir sie, was sie davon halten würden, wenn wir die Regisseure dazu bringen, an der Entwicklung des Spiels mitzuwirken, die Story zu schreiben und gleichzeitig den Kinofilm zu drehen. „Das endet doch wieder wie bei George Lucas, der für das Star Wars-Videospiel eigens ein Storyboard entwarf“, oder „Aber bitte nicht so was Absurdes, als wenn man einen J. R. R. Tolkien dazu zu überreden würde, über Herr der Ringe hinaus weitere Geschichten zu schreiben, damit EA Herr der Ringe-Spiele entwickeln könnte.“ „Wenn Ihr das wirklich so umsetzt, wie Ihr sagt, dann wäre das großartig.“

Wir versprachen ihnen, dass wir genau das tun würden. Am Ende gab es da noch einen hartnäckigen Zweifler, der uns sagte: „Das Einzige, was mich davon überzeugen würde, dieses Spiel zu kaufen, wäre die Signatur der Wachowskis auf der Spieleverpackung“. Und auch das haben wir realisiert.

Hatten Sie von Beginn an vor, eine flexible Engine zu entwickeln, um ENTER THE MATRIX auf allen Systemen bestmöglich zu realisieren?

D.P. Genau das Gegenteil ist der Fall. Wir arbeiten sehr zukunftsorientiert. Wir denken nicht in PlayStation 2, sondern bereits in PlayStation 3 und 4. Diese Einstellung hat auch die Wachowskis fasziniert. Die Technologie, mit der wir arbeiten, ist bereits auf dem Level der Next Generation. Wir entwickeln bereits für Systeme, die heute noch nicht existieren, und gehen dann Schritt für Schritt zurück, um für sie die heutigen Plattformen optimal einzusetzen. Die Auflösung ist jetzt schon der helle Wahnsinn. Sogar das Filmmaterial wird uns in Terabyte-Auflösung zugeführt, also erscheint das Material im Terabyte-Format auf DVD.

Alles, was wir machen, ist von höchster Qualität. Während der Dauer des Projekts haben wir uns bemüht, die Leistung auf höchstem Level anzusetzen und dann langsam herunterzurechnen und der höchstmöglichen Kapazität der Systeme anzupassen. Was auch immer eine Xbox leisten kann, unsere Xbox-Version wird das Optimum aus der Plattform herausholen. Microsoft und Sony helfen uns dabei, wo sie nur können, um das bestmögliche aus ihren Konsolen herauszuholen. Vor ein paar Wochen haben wir ein wahres Meisterstück fabriziert. Wir hatten über 1.300 „Wächter“ auf dem Schirm, und es sah bereits phänomenal aus. Diese große Anzahl einzusetzen, war bereits eine der Herausforderungen, die es zu bewältigen galt.

Am Anfang stellten wir uns nämlich die Frage, wie zum Teufel wir alle diese Wächter im Spiel unterbringen sollten und wie wir die Navigation all dieser Wächter programmieren sollten, die bei Verfolgungsjagden in den Tunneln um das Schiff herumschwirren. Jetzt ist ein unglaubliches Ergebnis zu sehen, wie sich all diese unterschiedlichen künstlichen Intelligenzen um einen herumbewegen.

War es eine große Herausforderung, die Tastenbelegung für die Versionen der verschiedenen Plattformen optimal zu programmieren?

D.P. In der Tat. Die Tastenbelegung war wirklich eine große Herausforderung. Wir benötigten ungefähr 70 Schlüssel, weil wir auf der einen Seite den Spielern größtmögliche Kontrolle geben, aber auf der anderen Seite auch die Fans des Films The Matrix ansprechen wollten, die sich eine Xbox oder PlayStation 2 besorgen werden, wenn sie erfahren, wie sehr sich die Wachowskis selbst bei der Entwicklung des Games engagiert haben.

Werden denn auch solche, die mit The Matrix nicht so vertraut sind, Spaß an dem Game haben?

D.P. Ja, das war Hauptbestandteil unseres Plans. Wir wollen die Leute, die wenig oder keine Erfahrung im Videospielen haben, dazu bringen, das Control Pad in die Hand zu nehmen, einfach die Knöpfe zu drücken und Spaß zu haben, weil sie merken, dass es funktioniert. Um diese Leute zu erreichen, haben wir hart gearbeitet. Auf der anderen Seite wollen wir keine Button-Smasher generieren, aber wir haben dafür gesorgt, dass auch geübte Spieler auf ihre Kosten kommen und über diverse Tastenkombinationen coole und beeindruckende Bewegungen ausführen können. Die Bewegungen und die entsprechenden Tastenbelegungen, werden bei uns laufend diskutiert. Wir haben uns anfänglich ein bisschen zu sehr auf die Kampfszenen fokussiert. Wir können eine Menge interessanter Situationen darstellen, aber was den Spielern am wichtigsten war, zeigt die Frage: „Was ist, wenn ich in einen Kampf verwickelt bin und dann die Waffe ziehen will, um auf meinen Gegner zu schießen?“ Dieses Problem hatten wir in der Tat ignoriert, sodass wir in der Konsequenz die Tastenbelegung in diesen Szenen komplett neu programmieren und gestalten mussten, weil es möglich sein muss, mitten im Kampfgeschehen schießen zu können.

Wie kommt die Idee der Matrix und ihrer digitalen Existenz im Spiel hinsichtlich der Möglichkeit, am Rechner zu hacken, um dann in die Matrix einzudringen, zum Ausdruck?

D.P. Die Möglichkeit, während des Spiels hacken zu können, ist großartig. Das garantiert viel Spaß und erfordert eine Integration der alten Text-Adventure-Komponenten im Spiel. Manche werden davon begeistert sein, andere werden sich vielleicht fragen, „Was zum Teufel soll das? Was soll ich damit?“, aber das ist okay, denn die Hacking-Option muss nicht genutzt werden, um das Spiel zu spielen. Aber wenn man darauf steht, kann man Waffen in die verschiedenen Locations hineinhacken, z. B. wenn ich mich im Flughafen aufhalte, kann ich über den Hacking-Modus Waffen dorthinein ordern, während meine Figur darauf wartet, sie in Empfang zu nehmen. Ich kann meinen Charakter auch mit neuen Kampftechniken ausstatten und vieles mehr. Wir haben auch Mitteilungen von den Schauspielern, die den Gamer erreichen.

Mein Ziel ist es, die Leute eine Erfahrung machen zu lassen, wie beispielsweise in The Matrix, als Trinity „klopf, klopf“ an Neos Bildschirm sendet und ihm dann Mitteilungen schreibt. Ich habe mir alle möglichen Programme über Künstliche Intelligenz angesehen, um herauszufinden, ob es eine adaptierbare Version für unser Gameplay gibt – leider erfolglos. Also haben wir ein Tool eingebaut, mit dem wir alle Möglichkeiten für eine reale Konversation z. B. mit Trinity geben, in der die Fragen und Antworten aufeinander abgestimmt sind. Wie immer Du Trinity ansprichst, ob Du über sie fluchst oder sie lobst – sie wird dir Feedback geben.

Wird es Flugszenen im Spiel geben?

D.P. Du fliegst in Hovercrafts durch die Tunnels. Wie auch im Film wandeln sich die Tunnels plötzlich in riesige Areale, durch die man sich nur „schwebend“ bewegen kann. Wenn Du fliegen willst, kannst Du Dich entscheiden, ob Du in den Charakter der Pilotin Niobe oder des Schützen Ghost schlüpfen willst.

Niobe ist die optimale Wahl, wenn man den Hovercraft als cooler Captain steuern will. Sie ist der beste Pilot der gesamten Flotte. Als in der entsprechenden Filmsszene ein guter Pilot benötigt wird, verlangt man nach Niobe. Sie im Spiel als Charakter zu wählen, macht also Sinn. Dann erst kommt der Zen-Buddhist Ghost ins Spiel, den die Wachowskis als impulsiven Draufgänger angelegt haben. Letztendlich bleibt es also Dir überlassen, ob Du in die Rolle des Ghost oder der Niobe schlüpfst. Ghost trägt normalerweise eine Waffe in der Hand und nutzt diese in Kampfszenen auch gern als Schlagwerkzeug. Er schlägt Dir gerne mal mit der Waffe in den Magen, während er gleichzeitig schießt. Er ist sehr geschickt und mit besonderen Fähigkeiten ausgestattet.

War das auch eine Idee der Wachowskis beide Figuren als spielbare Charaktere anzubieten?

D.P. Ja, das war eine weitere dieser Herausforderungen. Mit einer weiteren Idee überraschten sie uns dann wirklich, und es war eine dieser Vorstellungen, die einen Spieleentwickler tatsächlich zur Verzweiflung bringen. Aber sie dachten daran, Teile des Spiels für den Gamer unzugänglich zu machen, wenn dieser sich einen Fehler geleistet hat. Als Entwickler ist man standesgemäß darauf bedacht, alles zu zeigen und so haben wir uns auf den Kompromiss geeinigt, im Falle eines Fehlers den Spieler in einer Textmitteilung darauf aufmerksam zu machen.

Können Sie uns dafür ein Beispiel nennen?

D.P. Ja, in der Szene, in der Du Trinity bekämpfen sollst. Trinity wurde komplett durch Motion- Capturing in Szene gesetzt. Es kann Dir also passieren, dass wenn Du die Missionen nicht fehlerfrei bestehst, Du gar nicht in den Genuss kommst, gegen Trinity anzutreten. Dann bekommst Du gar nicht mit, dass diese Szene existiert.

Vielleicht erfährst Du erst im Chat mit Spiele-Fans im Netz, oder von Freunden, dass sie begeistert von dem Trinity-Level waren, während Du Dich fragst, wo das gewesen sein könnte.

Wie unterschiedlich sind die Routen der beiden Charaktere?

D.P. Nun ja, wir konnten keine zwei unterschiedlichen voneinander getrennten Spiele entwickeln. Also haben wir diese Unterschiede nur in der Darstellung einiger Level verdeutlicht. Zum Beispiel kann man in der Airport-Szene die Unterschiede am deutlichsten sehen. Man kann immer zwischen den Charakteren wechseln und sich in Kampfszenen gegenseitig helfen – wir haben allerdings darauf verzichtet, beide Figuren simultan auftreten zu lassen. Das wäre doch zu verwirrend. Grundsätzlich ist es von Vorteil, den Part jeweils mit dem einen und ein anderes Mal mit dem anderen Charakter zu spielen – es gibt aus beiden Perspektiven eine Menge zu sehen.

Wird es DVD-Footage als Extra im Spiel geben?

D.P. Das ist ebenfalls Bestandteil des Spiels. Wir werden uns die DVD noch einmal anschauen und prüfen, ob wir noch etwas vergessen haben.

Wir hatten 14 CDs gefüllt mit Bildmaterial zur Verfügung, somit ist es schwierig, alles davon auf der Spiele-CD zu berücksichtigen, besonders beim GameCube-Format. Ich kann Ihnen nur sagen, dass wir uns noch einmal die finale Version ansehen werden, um zu prüfen, ob sich Platz für noch mehr Filmausschnitte finden lässt. Fertiges Material steht bereit. Wenn ausreichend Platz vorhanden ist, quetschen wir es noch rein.

Wir bedanken uns für die Ausführungen.

Meinungen, Anregungen und sonstiges bitte an info@mag64.de